Vorbeugung und Abwehr des operativen Schocks durch C-Vitamin

Von Dr. Zs. Pataky, Dr. L. Molnár und Dr. I. Pálla

Aus der I. Chirurg. Universitätsklinik Budapest
(Direktor: Prof. Dr. E. Hedri)

Die Untersuchungen von Popov und Cagerejvili wiesen als erste auf den Zusammenhang zwischen Schock und Vitamin C hin. Experimente an Meerschweinchen zeugten davon, daß Tierchen, durch 10 bis 20 Tage mit ascorbinsäurelosem Futter gefüttert, auf Schmerzreize besonders empfindlich sind und durch den primären Reiz des Nervus ischiadicus sogleich ein Schock ausgelöst wird. Gyernovski und Lebedinskaja stellten fest, daß Organe von Trauma berührt, ihren Vitamin-C-Gehalt sehr schnell verlieren. Diel und Neumann beobachteten den Vitamin-C-Gehaltunterschied des menschlichen Nervensystems unter normalen und pathologischen Verhältnissen. Zilva beobachtete an Meerschweinchen die hochgradige Entleerung des Vitamin C in Äthernarkose und auf die lokale Einwirkung von Novocain. Svirbeli stellte die Verminderung des Ascorbinsäuregehaltes nach Äthernarkose in Rattenfeber, Kochel und Michel dagegen in der Rattennebenniere, fest. Belsin, Laubel, Nafziegel in ihrem Werke betitelt „Wirkung der Narkose und der Operation auf den Vitamin-C-Haushalt” darin ihre Tierexperimente behandelt werden, ziehen das klinische Resultat, daß ein Vitamin-C-armer Organismus in der Narkose und bei der Operation - sogar bei einfachen Probelaparotomien - seine Ascorbinsäurereserve sogleich verliert, das wirkt schädlich auf die Regeneration des Organismus zurück und vermindert die Aussichten der Bekämpfung von Infektionen. Sowohl sämtliche Autoren, als auch Silocev und Mergold behaupten, daß präoperativ verabreichtes Vitamin C, in der Form von Brom und Rohobst, in der Prävention des Schockzustandes eine wichtige Rolle spielen. Hochwald, Recht, Gerloczy und andere haben den anaphylaktischen Schock der Meerschweinchen durch präoperative Vitamin-C-Dosen verhindert. Nach Solomonica ist selbst dann ein Erfolg zu erzielen, wenn die Vitamin C bei Neuimpfung mit Allergen zusammen verabreicht werden. Hochwald stellt die Hypothese, daß bei dem anaphylaktischen Schock das Vitamin C die Histaminbildung verhindert und im Schockzustande die Stoffe, welche zum Redoxsystem gehören, wie Glutationen, Cysteinen und Ascorbinsäure, in gesteigertem Maße benützt werden.

Bekannt ist die günstige Wirkung der Ascorbinsäure auf die Beschleunigung der Blutgerinnung, Knochen- und Kallusbildung und Diurese (Abbasy), sie vermindert das Fieber, die Permeabilität der Gefäßwandung und fördert die Phagocytose. Die Untersuchungen von Jeney und Korpássy, deren Tierexperimente die Bedeutung des Vitamin C in der Wundheilung klärten, verdienen Aufmerksamkeit.

Ältere Quellen behandeln den Wirkungsmechanismus der Ascorbinsäure nur nebensächlich. Es fehlen auch die Angaben bezüglich der wichtigsten Eigen-schaft des Vitamin C, nämlich die seiner Antischockwirkung. Eben deshalb richteten wir unsere Aufmerksamkeit im Laufe unserer Experimente auf diese Antischockwirkung. Anfangs beobachteten wir, inwiefern der Vitamin-C-Mangel des Organismus in den Wintermonaten auf die Wundheilung und auf die postoperativen Komplikationen auswirkt. Es wurde bei den Kranken, welche zur Operation gelangten, der Vitamin-C-Gehalt des Blutes bzw. des Harns bestimmt und festgestellt, daß in 23 Fällen von 35 das Vitamin-C-Niveau des Blutes unter 0,4 mg% blieb, Harn war ganz vitaminlos. Diesen Patienten wurde täglich 3 bis 500 mg Vitamin C verabreicht (3 bis 5 Tage hindurch ungefähr in einer 1500 bis 2000 mg Gesamtdosis), wodurch der Vitamin-C-Gehalt des Blutes auf eine Höhe von 1 bis 2,5 mg% gesteigert werden konnte. Allgemeingefühl und -zustand der Kranken verbesserte sich in wesentlichem Maße und die auf diese Weise vorbereiteten Kranken blieben vom operativen und postoperativen Schock verschont. Diese Beobachtungen bildete den Ausgang zu den weiteren Untersuchungen, welche den schon vorbeugenden bzw. beseitigenden Wirkungsmechanismus des Vitamin C klären wollten.

In 40 Fällen wurde das Vitamin-C-Niveau des Blutes und Harns präoperativ, während der Operation und postoperativ bestätigt. Resultate:

I. 1. Bei 30 Kranken in Äthernarkose, deren Vitamin-C-Niveau den 0,4 mg% überstieg, sank das Niveau der verabreichten Äthermenge entsprechend. Nach Inhalation von 200 g Äther war im Blut kein Vitamin C mehr nachzuweisen.

2. In denselben 30 Fällen vermehrte sich die Menge der Ascorbinsäure postoperativ im (durch Katheter gewonnenen) Harn wesentlich.

3. In dieser Gruppe war eine stete Verminderung des Blutdruckes während der Operation wahrzunehmen.

II. Bei 10 Operationen in Novocainanästhesie entsprach die Verminderung des Vitamin-C-Niveaus im Blut und die Steigerung desselben im Harn, der Operationsdauer und -schwere. (Bei Appendektomie weniger, bei Magennresektion mehr).

Diese Untersuchungen ließen die Voraussetzung zu, daß die Senkung des Blutdruckes während der Operation mit der Entleerung des Vitamin C in einem gewissen Zusammenhang stehen soll und deshalb verabreichten wir große Vitamin-C-Dosen 80 zur Operation gelangten Patienten. Nach einheitlichem Gesichtspunkt untersuchten wir bei denselben Patienten die Veränderung von Blutdruck, Puls, Atmung, Blutzucker, Kalium und Kalzium-Koeffizient, qualitativem und quantitativem Blutbild, ebenso der absoluten Eosinophilenzahl, präoperativ, während der Operation und 24 Stunden nach der Operation. In allen Fällen wurde der Vitamin-C-Gehalt des Blutes und Harns bestimmt.

Diese 80 Kranken wurden in 2 Gruppen geteilt. Die 50 Kranken der ersten Gruppe hatten ein Vitamin-C-Niveau über 0,4 mg %. Die Angaben der obenerwähnten Untersuchungen ergaben bei diesen Kranken nahezu Normalwerte, sie waren normo- bzw hypertonisch. Von diesen Kranken bekamen die ersten 25 Vitamin C nur während der Operation, in der Periode der Blutdrucksenkung. Bei einmaliger Dosierung beobachteten wir das beste Resultat über 500 mg, als Wirkung war dabei in der Tensionsveränderung eine zweiphasige Kurve zu beobachten. Auf Einwirkung der nach der Blutdrucksenkung verabreichten Injektion erhöhte sich die Tension innerhalb 1 bis 2 Minuten um 20 bis 40 mm Hg, innerhalb 2 bis 3 Minuten verminderte sich diese auf den ursprünglichen Wert. Hernach war eine ständige Blutdruckerhöhung zu beobachten, welche 10 bis 15 Minuten nach der Injektion - von der Größe der Blutdrucksenkung abhängend - eine Erhöhung von 50 bis 100 mm Hg ergab. Der Blutdruck erreichte also das ursprüngliche Niveau, überstieg sogar dasselbe in einigen Fällen um 10 bis 20 mm Hg. Die einmal verabreichte 500 mg Vitamin-C-Menge war nicht geeignet jene Blutdrucksenkungen zu verhindern, welche während der Operation als Folge von Schmerzen oder der Umstellung von Lokalanästhesie auf Narkose, eintraten. In diesen Fällen mußte neuerdings eine Menge von 500 mg Vitamin C verabreicht werden um den Blutdruck auf das ursprüngliche Niveau zu bringen.

Die anderen 25 Kranken bekamen die 500 mg Vitamin-C-Dose 10 bis 15 Minuten präoperativ, intravenös. Infolgedessen blieb sowohl auf die psychische Blutdruckerhöhung folgende Blutdrucksenkung als auch die von Lumbalanästhesie oder von Narkosemitteln hervorgerufene Blutdrucksenkung aus. Während der Operation konnte aber eine neue Vitamin-C-Verabreichung - wegen der obenerwähnten Gründe - nicht vermieden werden. Die Gesamtmenge des verabreichten Vitamin C überstieg in keiner Gruppe die 2000 mg. Die Wirkung des Vitamin C ist unabhängig davon, ob während der Operation nötigerweise eine Blutplasmatransfusion oder verschiedene Infusionslösungen verabreicht werden. Diese Behauptung wird durch eigene Beobachtungen bestädigt, wo Vitamin C ohne Infusion oder Transfusion erfolgreich angewandt wurde.

In die zweite Gruppe gehören 30 hypotonische Kranke, deren Blutdruck 100 mm Hg oder einen niedrigeren Wert betrug. Hier erreichte das Vitamin-C-Niveau des Blutes nur 0,4 mg% oder 0. (Über die eventuellen Zusammenhänge von Hypertonie und C-Avitaminose wollen wir später berichten).

Die Dosierung von Vitamin C geschah in dieser Gruppe teilweise bei der Senkung der Tension, teilweise prophylaktisch, mit ähnlichem Erfolg, wie in der anderen Gruppe.

Die große Einzeldose von Vitamin C konnte also in keinem Falle eine langdauernde Blutdruckerhöhung sichern und die Blutdrucksenkungen während der Operation konnten nur durch neuere Vitamin-C-Dosen ausgeglichen werden. Deshalb mußte ein Infusionsverfahren angewandt werden, welches das Vitamin-C-Niveau des Blutes in ständigem Füllungszustand hält und imstande ist, der gesteigerten Entleerung von Vitamin C während der Operation nachzukommen. (Über die diesbezüglichen therapeutischen Erfahrungen berichten wir nächstfolgend).

Die Laboratoriumsresultate der mit entsprechend großen Vitamin-C-Dosen behandelten Kranken: Das Vitamin-C-Niveau des Blutes konnte im allgemeinen auf 2 bis 3 mg% erhöht werden, während dasselbe im Harn, je nachdem ob es sich um einen Kranken von normalem Vitamin-C-Blutspiegel oder um einen solchen handelte, bei welchem eine ausgeprägte Hypovitaminose bestand, abwechselnd war. Die Blutzuckerkurve ist für Hypoglykämie charakteristisch, entsprechend der auch sonst bei der Operation festgestellten Kurve. Im Blutbild beobachteten wir eine hochgradige Linksverschiebung. 24 Stunden nach der Operation nähern sich die obigen Werte der präoperativen. Kaliumgehalt, Ca-K-Koeffizient, welche Werte sich laut Literaturangaben im Schockzustand zu erhöhen pflegen, zeigten in unseren Fällen keine Steigerung. Die absolute Eosinophilenzahl nahm ab.


Zusammengefaßt:

1. Kranke, die in den Wintermonaten zur Operation gelangen, leiden in einer großen Prozentzahl an Hypo- bzw Avitaminose. Bei diesen Kranken ist während der Operation mit einer großen Blutdruckschwankung und mit Schockentwicklung zu rechnen.

2. In Äthernarkose und in Novocainanästhesie nahm das Vitamin-C-Niveau des Blutes der verabreichten Äthermenge, ferner der Operationsdauer bzw. -schwere entsprechend, ab; es kann sogar verschwinden, im Harn gesteigert ausgeschieden werden. Die Verminderung des Vitamin-C-Niveaus im Blut hängt mit der hochgradigen Schwankung des Blutdruckes und mit dem Auftreten des Präschock- bzw. Schockzustandes zusammen.

Bei beiden Gruppen wird die Forderung gestellt, einerseits den Vitamin-C-Mangel, andererseits die während der Operation verlorene Vitamin-C-Menge zu ersetzen, um dadurch das originelle Vitamin-C-Niveau zu erreichen. Am zweckmäßigsten wäre präoperativ eine Menge von 500 mg, und in den einzelnen Phasen der Operation zwei, dreimal neuere 500 mg (eine Gesamtmenge von 1500 bis 2000 mg) Vitamin-C-Dose zu verabreichen. Eine relativ große Menge von Vitamin C - sonst vollständig unschädlich - ist deshalb nötig, weil dieselbe sich während der Operation beinahe vollständig entleert oder zersetzt.

Bekanntlich tritt während des Schockzustandes eine Störung und Krise des Sympathikusadrenalinsystems ein, gefolgt von tiefgehenden Stoffwechselstörungen, Säurebasengleichgewichtsveränderung, Steigerung der Durchlässigkeit der Kapillargefäße, Blutdrucksenkung usw. Nach Burdenko verliert sowohl das vorhandene, als das eingeführte Adrenalin seine physiologische Aktivität infolge der Adrenalinzersetzung und im Organismus entsteht eine Chemische Desympathisierung. Friedmann, Cannon und Popov schreiben in der Pathogenese des Schockzustandes den Funktionsveränderungen der Nebenniere ebenfalls eine große Bedeutung zu. Infolge eines Traumas, als Teilerscheinung der Cannonschen Gefahrreaktion, scheiden die Nebennieren Adrenalin in gesteigertem Maße aus, später aber wird die Hyperfunktion durch Hypofunktion ersetzt und der Blutdruck sinkt.

In unseren Operationsfällen ging der Blutdrucksenkung eine Senkung des Vitamin-C-Niveaus im Blut vor. Die Untersuchungen von Svirbeli, Kocher und Michel unterstützen noch die eigenen Erfahrungen, sie beobachteten nämlich in Äthernarkose die Verminderung des Ascorbinsäuregehaltes in Rattenleber bzw. Nebenniere. Es sind auch andere Autoren uns bekannt, welche auf den Zusammenhang der Nebenniere und des neuroendokrinen Systems mit der Ascorbinsäure hinweisen. Als erster stellte Szent-Györgyi fest, später auch Mosonyi und Ungar, daß durch Ascorbinsäure die Oxydation von Adrenalin zu verhindern ist. Aus dem Organismus, durch ein Trauma angregriffen, wird aber die Ascorbinsäure geschieden und demzufolge wird das Adrenalin in gesteigertem Maße zersetzt, wie dies in unseren Operationsfällen zu beobachten war. Unserer Auffassung nach sind Adrenalinzersetzung, Vitamin-C-Ausscheidung, Blutdrucksenkung und Ausbildung der chemischen Desympathisierung parallel. In diesen Fällen treten im Organismus jene schweren Störungen auf, welchen wir im Schockzustand begegnen.


Zusammenfassung

Im Laufe unserer Untersuchungen bei 80 zur Operation gelangten Kranken stellten wir fest, daß wir durch Verabreichung von großen Dosen von Ascorbinsäure die Störung des Sympathikoadrenalinsystems in der Pathogenese des Schockzustandes beseitigen bzw. vorbeugen können. Daneben gelingt es mit einer entsprechend großen Dosis von Vitamin C die Entstehung einer Serum- bzw. Plasmadiapedese zu verhindern. In unseren Fällen gelang, uns mit großen Vitamin-C-Dosen den operativen Schockzustand verhindern und vorzubeugen.


Schrifttum

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Die Experimente wurden mit Redox-Forte-Injektionen durchgeführt und für die großzügige Überlassung derselben danken wir der Firma La Roche auch an dieser Stelle bestens.


Aus Zentralblatt für Chirurgie, Heft 21, 25 Mai 1957, pp. 883-887

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