Aus der medizinischen Universitätsklinik Basel — Vorsteher: Prof. H. Staub

Hepatitistherapie mit Ascorbinsäureinfusionen1

Vergleich mit anderen Therapien

Von H. Baur und H. Staub

Ascorbinsäure wirkt in einer Konzentration virucid, die bei ihrer geringen Toxizität auch am Menschen ohne Gefahr erreicht werden kann. Der virucide Effekt ist bekannt gegen das Virus von Lyssa, Variola, Poliomyelitis, Herpes simplex, Grippe, Maul- und Klauenseuche usw. (Literatur bei Jungeblut, 1939[see *]; Baur, 1952). Es lag nahe, den Effekt großer Dosen von Ascorbinsäure auch bei Virus-hepatitis zu untersuchen, nachdem analoge Versuche bei Poliomyelitis des Erwachsenen zu ermutigenden Resultaten geführt hatten (Baur, 1952). Frühere therapeutische Untersuchungen bei Hepatitis von Staub (1950) hatten zu dem Postulat geführt, die Durchblutungsgröße der Leber, außer durch körperliche Ruhe und Wärmeapplikation, auch durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr mit intravenösen Infusionen zu erhöhen. Diese Maßnahme wurde — um vergleichen zu können — für die hohe Ascorbinsäuredosierung beibehalten. Es ergab sich dabei die Möglichkeit, die große Ascorbinsäuremenge (anstatt mit wiederholten i.v. Injektionen) bequem über mehrere Stunden verteilt kontinuierlich applizieren zu können.

Als Kriterium für den therapeutischen Effekt dienten Verlauf der Bilirubinkonzentration im Serum (Dauer vom Therapiebeginn bis zum Abfall des Serumbilirubins und Erreichen des Normalwertes), Dauer der Ausscheidung von Bilirubin, Urobilin bzw. Urobilinogen im Urin, Dauer der Dysproteinämie (Takata-Reaktion), Verlauf der Diurese (Diuresebeginn), Gewichtskurve und Krankheitsdauer. Besonders die tägliche Bestimmung der Serumbilirubinkonzentration erlaubt zu erkennen, ob eine Therapie zu einem prompten Effekt, d. h. zu eindeutigem Abfall des Serumbilirubins, führt.

Die Resultate der Hepatitistherapie mit Ascorbinsäureinfusionen wurden mit einer Reihe von Hepatitisgruppen verglichen (195 Fälle), welche seit 1947 auf verschiedene Weise behandelt worden waren.


Methoden

Alle Virushepatitisfälle erhielten folgende einheitliche Grundbehandlung: Vollkommene Bettruhe, heiße Kompressen über Leber und Abdomen, Karlsbadersalz, täglich s.c. oder i.v. die Vitamine des B-Komplexes (2 cm3 Becozym Roche) und eine fettarme, kohlenhydrat- und eiweißreiche Kost (täglich 50 g Fett, 120 g Eiweiß, 400 g Kohlenhydrat).

Die zusätzlichen Behandlungsmaßnahmen seit 1947 lassen sich in folgende Gruppen unterteilen:

1947—1950

  1. 2mal täglich 5 Einheiten Insulin s.c. und 50 g Glukose oral (31 Fälle).
  2. 3mal 20 g Lävulose oral (10 Fälle)2.
  3. Gesamtvitaminpräparate oral oder i.m.; oder 10 mg Vitamin K (Synkavit Roche) i.m.; oder 50 mg Nikotinsäureamid i.m.; oder 30—60 mg Vitamin E (Tokopherolacetat) i.m.; oder 50 mg Cortin i.m. (Percorten) — total 83 Fälle.
  4. Aureomycin täglich 1 g; Cholagoga wie Cholsäure; Hexamethylentetramm; bis 1 g Methionin und 1 g Cholin täglich oral (12 Fälle).

1950—1953

  1. Täglich 1 l. Ringer- oder Kochsalzlösung i.v. (15 Fälle).
  2. Täglich 1 l. Ringer- oder Kochsalzlösung i.v. mit 50—100 g Lävulose2 und folgenden Vitaminpräparaten: B-Komplex (2—4 cm3 Becozym Roche); oder 0,2—0,5 g Ascorbinsäure; oder 10—20 mg Vitamin K (Synkavit Roche) (18 Fälle).
  3. Täglich Infusion von 1 l. Ringerlösung und B-Komplex verbunden mit 2—3 Tage Hunger (vgl. Staub, 1950, S. 392) (26 Fälle).
  4. Täglich i.v. Infusion mit 1 l. physiologischer Kochsalzlösung mit 10 g Ascorbinsäure (11 Fälle)3.

Die Dauer der Therapie der Gruppen 1—4 betrug durchschnittlich 1 Monat, die Dauer der täglichen Infusionen der Gruppen 5 und 6 2—3 Wochen, die Dauer der Ascorbinsäureinfusionen 5 Tage (3—9). Infusionen dauerten durchschnittlich 3 Stunden.

Um den Effekt der Infusionsbehandlungen mit und ohne hohe Dosen Ascorbinsäure beurteilen zu können, wurde täglich die Serumbilirubinkonzentration bestimmt. Sank diese während der ersten 3 Tage spontan, so blieb die Behandlung unverändert. Stieg sie an oder blieb konstant, so wurden vom 3. oder 4. Tage an die intravenösen Infusionen appliziert.

Da Ascorbinsäure die Diazotierung und damit die Bilirubinbestimmung stört, muß sie vorher aus dem Serum entfernt werden. Dies gelingt bisher nur durch enzymatische Ascorbinsäureoxydation mit der Ascorbinsäureoxydase aus den Fruchtknoten von — womöglich unreifen — Gurken (Cucumis sativus L.) oder Kürbisschalen (Cucurbita Pepo L., Szent-Györgyi, 1930/31; Diemair und Zerban, 1944). 1,8 cm3 Serum wurde mit 0,2 cm3 frischem Preßsaft aus Gurken oder Kürbisschalen 1 Stunde bei 37° inkubiert und anschließend diazotiert. Das Bilirubin wurde teilweise nach der alten Methode von Jendrassik und Czike mit Enteiweißen des Serums bestimmt, seit 1953 mit der Methode nach Powell (1944) ohne Enteiweißen. Proben von bilirubinhaltigem Serum mit Ascorbinsäurezusatz ergaben in vitro nach Inkubation mit frischen Preßsäften dieselben Werte wie ohne Ascorbinsäure. Versuche zur Kompensation der Ascorbinsäure durch größere Mengen Nitrit führten zu keinem befriedigenden Resultat.

In einem Teil der mit Ascorbinsäure behandelten Fälle wurde der Verlauf der Serumbilirubinkonzentration mit der Intensität der Serumfarbe verglichen (Extinktionskoeffizient für Blau). Die wesentliche Phase für die Beurteilung des Therapieeffektes, nämlich der Beginn des Serumbilirubinabfalls, konnte damit — trotz hoher Ascorbinsäurekonzentration im Serum — sicher festgestellt werden.

Die Takata-Reaktion wurde bei +3° C durchgeführt (Baur, 1948).

2Die Lävulose wurde freundlicherweise von der Firma Inopharm A.G. (Laevosan) zur Verfügung gestellt.

3Redoxon Hoffmann-La Roche, Basel, das uns die Firma freundlicherweise zur Verfügung stellte.


Resultate

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Abb. 1. Vergleich des Effektes verschiedener Therapien bei 206 Fällen von Hepatitis epidemica von 1947—1953. Nähere Beschreibung der 8 Gruppen im Text.
Die 4 Gruppen mit i.v. Infusionen sind schraffiert.

In Abb. 1 sind diejenigen Hepatitisfälle von 1947—1953 zusammengestellt, bei welchen der Verlauf aus wiederholten Laboratoriumsbestimmungen beurteilt werden konnte. Die 1. Gruppe mit Insulin- und Glukosebehandlung weist im Mittel die längste Krankheitsdauer auf. Die 8. Gruppe mit Infusion von 10 g Ascorbinsäure zeichnet sich durch die kürzesten Zeiten und den schnellsten Bilirubinabfall aus. Die Gruppen mit den anderen therapeutischen Versuchen liegen zwischen diesen beiden Extremen. Die kurze Krankheitsdauer bzw. Erholungszeit bei Behandlung mit Ascorbinsäureinfusionen ist besonders augenfällig im Vergleich mit den anderen Infusionsgruppen (Gruppe 5—7; in Abb. 1 schraffiert). Der Zeitunterschied vom Therapiebeginn bis zum Serumbilirubinabfall zwischen Gruppe 8 einerseits und 7 und 6 anderseits ist (soweit das bei der kleinen Zahl der Fälle zulässig ist) auch statistisch gesichert. (p < 1%; nach R. A. Fischer, 1948).

 

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Abb. 2. Verlauf der Serumbilirubinkonzentration und der Diurese bei 5 Fällen von Hepatitis epidemica vor und nach rund 6 täglichen Infusionen mit 10 g Ascorbinsäure.

Abb. 2 enthält 5 Beispiele der Behandlung mit Ascorbinsäureinfusionen. Es wird deutlich, wie schnell nach Therapiebeginn der Abfall des Serumbilirubins beginnt und wie prompt gleichzeitig die Diurese zunimmt. Diese stieg bei den Infusionsbehandlungen (Gruppe 5—8) während 2—3 Wochen progredient ungefähr um den Betrag der infundierten Menge. Das Körpergewicht sank während gleicher Zeitperiode bei Infusionen ohne Ascorbinsäure (Gruppe 5—7) zunächst um etwa 14 kg und stieg mit der Rekonvaleszenz an. Im Gegensatz dazu wies die Mehrzahl der mit Ascorbinsäure infundierten Fälle trotz identischer Diuresesteigerung von Anfang an eine kontinuierliche Gewichtszunahme bis zu etwa 1 kg auf. In jedem Fall wurden die Ascorbinsäureinfusionen reaktionslos ertragen. Es waren keine unerwünschten Nebenerscheinungen zu beobachten. Die Patienten befanden sich schon nach den ersten Ascorbinsäureinfusionen subjektiv wohler als vorher, koinzident mit dem Abblassen des Icterus, und wiesen eine deutliche Besserung des Appetits auf.


Diskussion

Es ist schwierig zu entscheiden, wieviel von den vorliegenden Resultaten epidemiologischen und konstitutionellen Faktoren oder der Therapie zuzuschreiben ist. Die Insulin-Glukose-Therapie wurde 1947/48 durchgeführt, als die Letalität der Hepatitis epidemica in Basel noch 9 bzw. 7% betrug, nachdem sie 1946 auf 19% angestiegen war (Staub, 1946/47). Möglicherweise stehen die ungünstigen Resultate der Insulin-Glukose-Therapie damit in Zusammenhang. In den Jahren nach 1948 sank die Hepatitisletalität in Basel auf 0—1% ab. Seit 1950 wurden die verschiedenen Infusionsbehandlungen durchgeführt. In diesen Jahren bis heute waren die epidemiologischen Verhältnisse relativ konstant. Es erscheint daher eine Beteiligung von epidemiologischen Faktoren am günstigen Resultat der Ascorbinsäuretherapie unwahrscheinlich.

Um den Zeitpunkt des Serumbilirubinabfalls exakt bestimmen zu können, gebot die Versuchsanordnung, für die Infusionsbehandlung mit oder ohne Ascorbinsäure nur Fälle zu berücksichtigen, deren Serumbilirubinkonzentration während der ersten 3 Spitaltage anstieg oder konstant blieb. Damit liegt auch für die Behandlung mit den Ascorbinsäureinfusionen eher eine Auswahl der schwereren Fälle vor. In allen untersuchten 8 Gruppen war der Anteil takata-positiver Fälle ungefähr gleich groß (1/3-1/2, vgl. Baur, 1948).

Bei Annahme eines viruciden Wirkungsmechanismus liegt kein Vitamineffekt der Ascorbinsäure zugrunde. Sie würde durch ihr Redoxpotential wie ein Chemotherapeuticum wirken (über die entsprechenden theoretischen Vorstellungen vgl. Baur, 1952). Außer direktem virucidem Effekt der Ascorbinsäure sind noch folgende therapeutische Wirkungsmechanismen in Erwägung zu ziehen: Direkte Verbesserung von Leberfunktionen (Eiweiß- und Kohlenhydratstoffwechsel); die Leberzelle benötigt für ihre Aktivität Ascorbinsäure (Höjer, 1924; Sato und Narubu, 1905; Spellberg und Keeton, 1939); bei Hepatitis und Lebercirrhose besteht Ascorbinsäuremangel (Galvan, 1940; Gounelle und Marche, 1943; Tomaszewski, 1936; Pennetti und De Ritis, 1939); Ascorbinsäure schützt bei experimenteller Leberschädigung (Milhorat und Mitarb., 1940; Beyer, 1943). Auch die hier beobachtete tonisierende Wirkung der Ascorbinsäureinfusionen weist auf einen Stoffwechseleffekt. Ferner ist als möglicher Ascorbinsäureeffekt zu diskutieren: Günstige Beeinflussung entzündlicher Gewebsreaktionen (insbesondere des Bindegewebes), Entgiftung infolge reversibler Oxydierbarkeit der Ascorbinsäure, Angriffspunkt an der Membranpermeabilität, Verbesserung der Nebennierenrindenfunktion, erhöhte Diurese, Schutz gegen Sensibilisierung (vgl. Mancuso, 1951; Delaunoy und Bardeu, 1953 u. a.). Auffällig ist in diesem Zusammenhang die fast konstante Gewichtszunahme nach etwa 5 Ascorbinsäureinfusionen. Der primäre Gewichtsabfall bei Infusionsbehandlung ohne Ascorbinsäure spricht gegen einen bloß diuretischen Effekt der Ascorbinsäure.

Quantitative Bilirubinbestimmungen im Urin haben ergeben, daß während des Serumbilirubinabfalls keine zusätzliche Bilirubinurie besteht: Das Abblassen des Icterus beruht also auf Rückgang der Bilirubinbildung. In Verbindung damit erlaubt der rasche Serumbilirubinabfall nach Ascorbinsäureinfusionen noch folgende Erklärung des Wirkungsmechanismus: Ascorbinsäure bewirkt möglicherweise durch «Beschwerung» die Verschiebung des Redoxpotentials nach der negativen Seite, hemmt die Spaltung des Porphyrinringes zum Kettenmolekül des Bilirubins und setzt damit die Bilirubinbildung herab (Bersin). Entsprechende Einflüsse der Ascorbinsäure auf zyklische Verbindungen im allgemeinen und Porphyrin im besonderen sind bekannt (Ekman, 1944; Vestling, 1941; Watts und Lehmann, 1952).

Die i.v. Applikation der Ascorbinsäure war hier durch die Versuchsanordnung bedingt, weil mit früheren Infusionsbehandlungen verglichen werden konnte. Es bleibt abzuklären, ob ähnliche Resultate nicht auch durch massive orale Dosierung erreicht werden können.


Zusammenfassung. Die intravenöse Infusion von täglich 10 g Ascorbinsäure (Redoxon-Roche) in 1 Liter physiologischer NaCl-Lösung während 5 Tagen führte 1951—1952 bei 11 Fällen von Hepatitis epidemica zu Beschleunigung des Serumbilirubinabfalls und der Gewichtszunahme, zu Verkürzung der Ausscheidungsdauer von Bilirubin, Urobilin und Urobilinogen im Urin, der Dysproteinämie und der Krankheitsdauer. Dieser günstige Effekt wird mit andern therapeutischen Versuchen bei 195 Hepatitis fällen von 1947—1953, mit und ohne Infusionen, verglichen und dadurch besonders deutlich gemacht. Die Ascorbinsäureinfusionen riefen keine unerwünschten Nebenwirkungen hervor. Es wird diskutiert, ob die Ascorbinsäure hier nur virucid oder über den Stoffwechsel des Kranken wirkt.

Summary. Investigations carried out between 1951 and 1952 on 11 cases of hepatitis epidemica showed that the intravenous infusion of 10 gm. ascorbic acid (Redoxon ‘Roche’) in 1 litre physiological NaCl solution daily for 5 days accelerated decrease of serum bilirubin and increase in weight, reduced the period of urinary excretion of bilirubin, urobilin and urobilinogen, shortened the duration of dysproteinemia and illness. This result compared favorably with other therapeutic trials in 195 cases of hepatitis epidemica from 1947—1953 with and without infusions. The ascorbic acid infusions caused no undesired side-effects. The question whether ascorbic acid exerts here only virucidal effects or acts upon the metabolism of the patient is discussed.


1Auszugsweise vorgetragen vor der PD.-Vereinigung der Medizinischen Fakultät Basel am 17. Dezember 1952.


From Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 1952, Number 21., pp. 595-597.

Editors notes:

  1. The figures Abb. 1. and 2., which were nearly illegible in the reproduced source, have been redrawn for clarity.
  2. [*]The Jungeblut reference in the text calls out 1939, whereas the reference in the bibliography calls out 1937.

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